14.07.2011 – Zur Zeit steuere ich die NABU Kormoran-Webcam auf Fehmarn, da meine Teamkollegen Ingo und Martin im Ausland unterwegs sind. Neben der aktuellen Arbeit schaue ich also auch heute ab und zu auf der Webcam nach dem Rechten. Um 12:30 Uhr ist die eingestellte Kameraposition 'Nord-Niststrauch' perfekt – knapp zwei Dutzend Kormorane sitzen im Bildausschnitt. Plötzlich aber erhebt sich der Trupp vor meinen Augen und ist schlagartig verschwunden. Ich ahne, da droht Unheil, denn die Kormorane verschwinden nicht einfach ohne Grund so plötzlich von der Bildfläche!
Sofort gehe ich auf die Steuerung unserer Hightech-Webcam und schwenke sie per Internet und Funkstrecke über den See. Erstmal irgendwie intuitiv nach links und mit Weitwinkeleinstellung zum Überblick. Ich weiß, wonach ich suche: Ich will den Adler, der hier im Wasservogelreservat Wallnau öfter ein Stelldichein gibt und sein ihm gebührendes hoheitliches Wesen treibt!
Da sehe ich weit auf dem See einen kleinen schwarzen Fleck im Kamerabild. Der Minifleck auf dem Monitor ist kein Fliegendreck, wie ich schnell verwirrt kontrolliere, außerdem ist er höher als breit und damit ganz ungewöhnlich, denn Kormorane liegen tief und flach im Wasser. Per Mausklick zentriere ich die Kamera auf den schwarzen Fleck und zoome dann heran. Da trifft mich fast der Schlag: Ein Seeadler hoch flügelschlagend auf dem Wasser – der hat da etwas geschlagen! Dann folgen 60 Minuten absolute Hochspannung und atemlose Webcam-Snapshots.
Der Adler bekommt seine Beute offensichtlich nicht aus dem Wasser, er schlägt minutenlang hoch mit den Flügeln, dann beginnt er irgendwie schwer mit den Flügeln rudernd dem Ufer zuzustreben. Direkt auf mich zu, also jedenfalls auf die Webcam zu. Das sieht nicht wirklich 'professionell' aus, sondern eher mühsam und eher halb unter als über Wasser. Ich schwenke mit und da versperrt mir – ja zum Teufel! – einer unserer Webcam-Ansitzpfähle die Sicht auf die dramatische olympiareife Ruderszene. Dann aber hat er mit der Beute das rettende Ufer erreicht, schüttelt sich und sein Gefieder, seine Schwingen, und beginnt sofort, sein Opfer zu kröpfen: Ein Kormoran, wie jetzt überdeutlich zu erkennen ist!
Nun beginnt ein gewisses blutiges Schlachtfest, das manche Naturfreunde vielleicht nicht so gerne mit ansehen, aber in der Natur eben natürlich und guter Brauch und Sitte ist. Gut 50 Minuten ist der Adler damit beschäftigt und verlegt dabei seinen Standort einige Male um zehn Meter oder so zunächst direkt unter den krüppeligen Kormoran-Niststrauch. Ich schaue dem Festmahl wie gebannt zu, steuere und klicke mit der Maus einen Snapshot nach dem anderen. Der Adler trägt rechts einen Alu-Ring. Jetzt wendet er den Kopf plötzlich nach hinten und dann stockt mir nochmals der Atem: Ein zweiter riesen-gelber Adlerschnabel stößt von rechts ins Bild hinein und geht dem ersten Adler fast von hinten ans Gefieder! Der zweite ist unberingt, wie ich sofort per Kamerasteuerung kontrolliere. In der Folge hält er dann einen etwa Drei-Meter-Abstand zu seinem Kollegen ein und ich muß sehen, welchen von beiden ich denn nun ins Visier nehmen und beobachten soll – wo hat man schon einmal eine solche Qual der Wahl und nur Sekunden der Entscheidung! Unterdessen landen auch noch zwei Krähen 'lüstern' auf dem Strauch direkt über dem Geschehen – Hitchcocks 'Die Vögel' läßt grüßen!
Dann geht es mit der Beute noch einmal zehn Meter weiter nach rechts auf die verlassenen Bodennester der Kormoran-Kolonie – der zweite Adler hinterher und eine der Krähen, aber beide mit sorgfältigem Abstand zum Chef der Szene. Dann ist plötzlich alles vorbei auf dem 'Schlachtfeld' und es kehrt wieder Ruhe ein auf der Kormoraninsel und auch bei mir am fast glühenden Webcam-Bildschirm.
Zum Glück hat es nicht den Rosapelikan erwischt, der hier seit einigen Tagen als Irrgast und Ausnahmeerscheinung direkt vor der Kormoran-Webcam fischt und rastet und die trügerische Ruhe hat, sich unmittelbar nach der Adlerattacke direkt unter dem Kormoran-Niststrauch in den Mittagsschlaf zu begeben. Pass gut auf dich auf, Pelikan – du bist in Gefahr! Denn hier ist SEIN Reich und ganz allein ER der allseits respektierte König der Lüfte und der See – der Seeadler!